ZIEGENBALG, Bartholomäus, erster dt. ev. Missionar,
erster dt. Drawidologe, * 10.7. 1682 in Pulsnitz / Sachsen als Sohn des
Getreidehändlers Bartholomäus Ziegenbalg (1640-1694) und dessen Ehefrau
Maria geb. Brückner (1646-1692), + 23.2. 1719 in Tranquebar / Südindien.
- Z. steht in Ahnenverwandtschaft mit dem Philosophen Johann Gottlieb
Fichte (1762-1814) (mütterlicherseits) und dem Bildhauer Ernst Friedrich
August Rietschel (1804-1861) (väterlicherseits). - Religiös-empfindsam
veranlagt, erlebte Z. bereits in frühen Jahren eine pietistische
Erweckung. In Görlitz durchlief er das Gymnasium (ab 1694), ehe er 1702
kurzzeitig auch das Friedrich-Werder-Gymnasium in Berlin besuchte, wo er
mit den Pietistenhäuptern Joachim Lange (s.d.), dessen Rektor, Philipp
Jakob Spener (s.d.) und Karl Hildebrand Freiherr von Canstein (s.d.) eine
Bekanntschaft anknüpfte. 1703 studierte er sodann als Schüler August
Hermann Fanckes (s.d.) Theologie in Halle, dem Zentrum der pietistischen
Bewegung. Obwohl er von zarter Gesundheit war und die Ausbildung nicht
abgeschlossen hatte, wurde er 1705 unter Vermittlung von Lange zum
Missionsdienst berufen und zusammen mit seinem Studienkollegen Heinrich
Plütschau (s.d.) von der Dänisch-halleschen Mission, einer Stiftung des
dänischen Königs Friedrich IV. (1699-1730), in die Kolonie Tranquebar an
der Südostküste Indiens (nahe Tanjore) entsandt. Sie waren die ersten
planmäßig ausgesandten Missionare des dt. Protestantismus und zudem die
ersten ev. Sendboten in Indien überhaupt. Am 9. Juli 1706 in Tranquebar
angelangt, konnten sie bereits ein Jahr später die ersten Tamilen
(»Malabaren«) und Mischlinge (»Portugiesen«) taufen und eine kleine
lutherische Gemeinde gründen, die bis 1712 etwa 200 Glieder umfaßte; 1707
war auch der Grundstein für die »Neu-Jerusalemskirche« gelegt worden (neu
errichtet 1718). Von der dänischen Kolonialbehörde angefeindet, die durch
die Missionsarbeit ihre Handelsinteressen gefährdet sah, wurde Z. ein
Jahr später mehrere Monate inhaftiert (1708/09). - Während der
Gründungsjahre waren zehn Missionare tätig, die weitgehend der hallesche
Pietismus bereitgestellt hatte. Unter ihnen war Z. die überragende
Persönlichkeit, der zum Bahnbrecher der ev. Mission und Kirche in Indien
und überhaupt zum »Prototyp des ev. Missionars« (A. Lehmann) avancierte. Sprachlich
ausnehmend begabt, widmete er sich besonders der Literaturarbeit. So
übersetzte er schon bald das Tamil-NT (ersch. 1714/15) und das Tamil-AT
(bis zu Ri; vervollständigt von B. Schultze, 4 Tl. 1723-28); hinzu traten
Luthers Kleiner Katechismus (1715), ein Tamil-Gesangbuch (1715), eine
Tamil-Grammatik (lat. 1716); zudem schuf er die Grundlagen zum
Tamil-Wörterbuch und zu Lexika. Schließlich übersetzte er Tamil-Texte ins
Deutsche (u.a. Ulaga Nidi oder Weltliche Gerechtigkeit, 1708; ersch. 1930)
und verfaßte Abhandlungen über die tamilische Kultur und Religion (u.a.
die »Beschreibung des Malabarischen Heidenthums«, 1711; ersch. 1926, u.
die »Genealogie der Malabarischen Götter«, 1713; ersch. 1867), die
allerdings, weit von Objektivität entfernt, von
eurozentristisch-christlichem Superioritätsgefühl bestimmt sind (wenn sie
z.B. die hinduistische Religion als ein »vom Teuffel verblendetes
Fabelwerck« diskriminieren). Über die sprach- und
religionsgeschichtlichen Forschungen hinaus, die ihn zum ersten dt.
Drawidologen machten, gründete er Schulen (u.a. 1707 die wohl erste
Mädchenschule Indiens) und ein Seminar (1716), um die Ausbildung
einheimischer Lehrer und Pastoren sicherzustellen. Überdies sorgte er
sich um die Sozialarbeit; der »Dienst der Seelen« sollte mit dem »Dienst
des Leibes« eng verbunden sein. - Z.s theologisches Denken wurzelt in der
luth. Orthodoxie und ist von frühaufklärerischem Optimismus durchzogen.
Seine Verkündigung versuchte an der natürlichen Gotteserkenntnis und der
tamilischen Lebenswelt anzuknüpfen und zielte auf die Errichtung einer
bodenständigen Kirche, in der die hauptsächlich aus den unteren sozialen
Schichten stammenden jungen Tamil-Christen ihre Volkstümlichkeit
weitgehend wahren konnten. - Wichtigste Erben von Z.s 13jähriger
Pionierarbeit und der darauf aufbauenden Tranquebarmission, die ein
markantes Bindeglied zwischen früherer Kolonialmission und neuzeitlicher
Gesellschaftsmission darstellt, wurden die heutige
Evangelisch-Lutherische Tamilkirche (TELC) und weite Teile der
Südindischen Kirche (CSI) in Tamil Nadu.
Quelle:
Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon, Bautz-Verlag
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